Zum Film „Die Wannseekonferenz“(1984)

DER SPIEGEL 1/1985
„Völlig unrealistisch und lebensfremd“

TV-Autor Paul Mommertz zur Kritik an seinem Fernsehspiel „Die Wannseekonferenz“

Heinz Höhne hat meinen Film „Die Wannseekonferenz“ (ARD, 19. Dezember, 20.15) madig gemacht, der nach meiner ungebrochenen Überzeugung ein noch nachzuholendes Thema unserer Geschichte in optimaler Weise präsentiert.

Höhne behauptet im SPIEGEL (51/1984), Heydrichs verklausulierte Sprache, wie sie uns aus dem Protokoll entgegentritt, sei geeignet gewesen, bei Nichteingeweihten harmlose Vorstellungen zu wecken. Als Beweis führt er den von der Apologetik bekannten Satz Eichmanns an: „Es wurde nicht von Töten gesprochen, sondern nur von Arbeitseinsatz im Osten“.

Eichmanns Richter in Jerusalem trieb ihn in die Enge: „Ich frage Sie, Eichmann, noch einmal: Das Wannseeprotokoll endet wie folgt: 'Abschliessend wurden die verschiedenen Tötungsmöglichkeiten besprochen.“ Eichmann: „Da sind verschiedene Tötungsmöglichkeiten besprochen worden.“ Und der Richter, noch einmal nachfragend für den Prozess, die Zeitgeschichte, für Herrn Höhne und mich: „Also verschiedene Tötungsmöglichkeiten?“ Antwort Eichmann: „Jawohl!“

30 Exemplare des „sprachlich geglätteten“ Wannseeprotokolls wurden ganz oben in Berlin verteilt. Heydrich übertrieb die Sprachtarnung aber nicht gerade. So heisst es da: „Unter entsprechender Leitung sollen die Juden dann im Zuge der Endlösung in geeigneter Weise im Osten zum Einsatz kommen. In grossen Arbeitskolonnen unter Trennung der Geschlechter (!) werden die arbeitsfähigen Juden strassenbauend in diese Gebiete geführt, wobei zweifellos ein Grossteil (!) durch natürliche Verminderung (!) ausfallen wird.
Der allfällig verbleibende Restbestand (!) wird, da es sich bei ihm zweifellos um den widerstandsfähigsten Teil handelt, entsprechend (!) behandelt werden müssen.“

Und das hiess für jeden auch nur halbwegs Eingeweihten nach üblichem Sprachgebrauch, sie sind der berüchtigten „Sonderbehandlung“ zuzuführen. Und das Potokoll nennt, aufgeschlüsselt nach Herkunftsländern, auch gleich die Zahl der Juden, an die gedacht ist: elf Millionen! Eine Zahl, übrigens sehr geeignet, gewissen apologetischen Zahlenspielen ein Ende zu machen.

Auch sonst, besonders in den oberen Dienststellen, war man im Bilde. Zum Zeitpunkt der Konferenz war schon über eine halbe Million Juden, auch schon solche aus dem Reichsgebiet, den Kugeln der Einsatzgruppen zum Opfer gefallen. Regelmässig gingen darüber Einsatzgruppenberichte nach Berlin, in denen penible Statistiken über die erreichten „Abschussquoten“ gemeldet wurden.

Genehmigt von Heydrich, redigiert vom Müller, auf den Weg gebracht durch Eichmanns Dienststelle, wanderten diese Berichte an die wichtigsten Zentralintanzen. Christopher R. Browning weist nach, dass zeitweise bis zu hundert Kopien der Berichte allein über die Schreibtische des Auswärtigen Amtes liefen, das auf der Konferenz durch den fanatischen Nazi und Antisemiten, Scharfmacher und Verbindungsmann zum Reichssicherheitshauptamt und SD-Mann Luther vertreten war.

Wie aber verhielt es sich bei den anderen Konferenzteilnehmern bezüglich der angeblichen Notwendigkeit, eine verschleierte Sprache zu sprechen, um ihre vermeintliche Unwissenheit zu schonen?

Wie gesagt, alle wussten von den Massenerschiessungen im Osten. Die Herren der SS, vom Reichssicherheitshauptamt, Heydrich und Müller und Eichmann, wussten als Organisatoren sowieso; SS-Hauptsturmbannführer Lange war sogar einer der Exekutoren.

Schöngarth kannte als Führer eines Sonderkommandos der Einsatzgruppe C die Massaker ebenfalls aus eigener Anschauung.

Hofmann, Himmler-Intimus, ranggleich mit Heydrich, Spezialist für die „rassiche Neuordnung Europas“, hätte diese Position sicher nicht erklommen, wäre er naiv genug gewesen, nicht zu bemerken, was um ihn herum vorging, und seien es nur die Probeläufe der Vergasungswagen auf dem Hof seines Amtes.

Meyer und Leibbrandt, Gauleiter und Reichsamtsleiter, waren zuständig im Ostland, wo sich diese Dinge abspielten. Ihr Amtsuntergebener Wetzel hatte ihnen, nach Absprache mit Eichmann, auch bereits einen Vergasungswagen angekündigt.

Staatssekretär Neumann vertritt auf der Konferenz Reichsmarschall Göring, der Heydrich mit der Endlösung und der Koordinierung der entsprechenden Instanzen beauftragt hat, welchem Zweck ja die Wannseekonferenz dient. Es wäre ja wohl absurd, Neumann zu unterstellen, er wäre nicht im Bilde gewesen oder kein Erfahrungsberechtigter gewesen über das, worüber er sich dienstlich auf dem laufenden und seinem Dienstherren Vortrag zu halten hatte.

Staatssekretär Freisler, fanatischer Nationalsozialist, Antisemit, schon im Gespräch für den Vorsitz am Volksgerichtshof, wäre von Heydrich sicher nicht geladen worden, hätte man in ihm ein Risiko für Sicherheit, Verlässlichkeit und Vertrauenswürdigkeit gesehen.

Staatssekretär Bühler wird Mitwisserschaft an den Massenerschiessungen in Polen nachgesagt. Er war die rechte Hand des Generalgouverneurs für ehemals Polen, dessen redselige Monolge in seinen Diensttagebüchern in Anwesenheit Bühlers aufgezeichnet wurden, etwa: „Die Juden sind auch für uns (in Polen) ausserordentliche Fresser. Wir haben im Generalgouvernement schätzungsweise 3,5 Millionen Juden. Diese können wir nicht erschiessen, wir können sie nicht vergiften, werden aber doch Eingriffe vornehmen können, die irgendwie zu einem Vernichtungserfolg führen werden, und zwar im Zusammenhang mit den vom Reich her zu beschliessenden großen Massnahmen.“

Von Berlin kam Zwischenbescheid: „Wir haben genug zu tun, liquidiert sie selber!“ Doch schon wenige Tage später konnte Bühler, vom Wannsee kommend, dem Generalgouverneuer Neues und Genaueres über die grossen Massnahmen berichten.

Klopfer, als Vertreter Bormanns auf der Konferenz, also des Führersekretärs, kommt aus dem Zentrum der Macht und ihrer Machenschaften. Ihm Unwissen zu unterstellen oder Bedrüftigkeit auf irgendwelche Rück­sichtnahmen ist fern jeder Lebenserfahrung und historischen Denkweise.

Zu Ministerialrat Kritzinger möchte ich aus dem Gutachten des Institus für Zeitgeschichte zitieren: „Es kann kein Zweifel darüber bestehen, das Kritzinger über alle entscheidenden Vorgänge, darunter Judenverfolgung, Endlösung und Einsatzgruppenproblematik, informiert gewesen ist oder Gelegenheit besass, darüber alles Wesentliche von allen Kollegen, vor allem Dr. Klopfer, sowie insbesondere Dr. Stuckart vom Reichsministerium zu erfahren.“

Als Ministerialrat Lösener vom Reichsministerium des Inneren Ende 1941 zufällig von den Judenmassakern bei Riga hörte, kam er bei seinem Chef, Staatssekretär Stuckart, um seine Entlassung ein. Unvergesslich für ihn Stuckarts Satz: „Ja, wissen Sie denn nicht, dass diese Dinge auf höchsten Befehl geschehen?“ Nicht nur Lösener, auch Hans Globke war aus Stuckarts Amt. Er erklärte später vor Gericht: „Ich wusste, dass die Juden massenweise umgebracht wurden ... Ich bin der Auffassung und habe es gewusst, dass die Ausrottung der Juden systematisch vorgenommen worden ist ...“

Allein diese Angaben über die Teilnehmer der Wannssekonferenz und einiger ihrer Mitarbeiter sollten ausreichen, Öffentlichkeit und Geschichtsschreibung endlich zur Anerkennung des Offensichtlichen zu veranlassen.

Der Befehl erfolgte durch den, der seit jeher das grösste Interesse daran gezeigt hatte. Er erfolgte, wie die Merhheit der Historiker annimmt und wie auch ich zu beweisen in der Lage wäre, im Spätsommer 1941. Göring hätte Heydrich nicht ohne höchsten Befehl dann mit der Organisation beauftragt. Und Heydrich hätte nicht aktiv werden können ohne Himmlers Kooperation sowie - wie Heydrich sich ausdrückte - „erspriessliche Zusammenarbeit“ aller betroffenen Dienststellen ab Wannseekonferenz und Nachfolgekonferenzen.

Übrigens sind die Theorie eines gewissermassen zwanghaften, ja beinahe tragischen Hineinschlidderns in die Endlösungsvorgänge sowie des schwankenden Hamlet Hitler inzwischen von ihren Erfindern selbst mit den notwendigen Fragezeichen versehen worden.

Dass Männer dieser Grössenordnung, organisatorischen Befähigung und gewaltiger Teilverantwortung angesichts des sich anbahnenden Debakels in Afrika und Stalingrad nicht die Frage gestellt haben sollen, wie man denn mit einem so ungeheuren Problem wie der europaweiten „Endlösung“ technisch zurechtzukommen gedenke, ist schlichtweg unvorstellbar. Es ist völlig unrealistisch und lebensfremd, Heydrich zu unterstellen, er habe mit der Mehrheit der Konferenzteilnehmer eine Sprachregelung verabredet oder vorausgesetzt, mit deren Hilfe man neunzig Minuten lang an irgendwelchen, immerhin nicht dummen Leuten hätte vorbeireden können. Warum auch? Man brauchte doch ihr Wissen!

So bleibt Eichmanns Aussage in Jerusalem glaubhaft, wonach in aller Offenheit von „Töten“, „Vernichten“, „Liquidieren“ gesprochen wurde, und zwar in einer heiteren, alkoholisch animierten Atmosphäre, sogar mit einem Gefühl „pilatushafter Zufriedenheit“ bei Eichmann, weil er nun allein die „hohen Tiere“ für verantwortlich hielt, während die Erleichterung der anderen aus der Kompetenzklärung resultiert, der Abgabe der verantwortlichen Federführung an die SS, und weil man nach diesem schrecklichen Erschiessen nun also endlich zu einer „humanen“, „schnellen“, „geräuschlosen“ Methode gefunden hatte.

Schliesslich nennt Höhne die Quellenlage zur Wannseekonferenz dürftig. Ich verfüge über sechs Ordner mit Originaldukumenten aus dem Umfeld der Konferenz. Auch ich bin Historiker. Vielleicht ist es denkbar, dass ein Historiker nach vierzehn Monaten Spezialstudien auf einem besonderen Sachgebiet anderen Historikern ein wenig voraus ist.

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